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Ein politischer Mord in Cherson – und was dies für Russland bedeutet

In der südukrainischen Stadt Cherson hat sich am Sonntag ein Terroranschlag ereignet, der über den Einzelfall hinaus Fragen an die Ziele und Strategien Russlands in der Ukraine aufwirft. Ist Russland in der Lage, antifaschistische und prorussische Aktivisten zu schützen?
Ein politischer Mord in Cherson – und was dies für Russland bedeutetQuelle: Gettyimages.ru © Stefano Montesi - Corbis

Am Sonntagmorgen schossen in Cherson im Stadtteil Neftegawan Unbekannte auf ein Auto des als "prorussisch" geltenden Aktivisten Pawel Slobodtschikow, in dem dieser mit seiner Frau unterwegs war. Slobodtschikow starb am Ort des Anschlags, seine Frau befindet sich im Krankenhaus. Ihr Zustand ist kritisch. Dies melden örtliche und ukrainische Medien und Blogger übereinstimmend. In sozialen Medien kursieren Videoaufnahmen des Fahrzeugs nach der Tat: 

Hinter der Tat werden ukrainische Saboteure oder der ukrainische Geheimdienst vermutet. Das Auto des Aktivisten wurde gezielt beschossen, andere Fahrzeuge und Passanten, die in unmittelbarer Nähe unterwegs waren, blieben unbehelligt. 

Cherson in der Südukraine wird seit dem 3. März von der russischen Armee kontrolliert. Die örtlichen Verwaltungsorgane verrichten ihre Arbeit jedoch unverändert weiter: Im Rathaus der Stadt amtiert weiterhin der im November 2020 mit knapper Mehrheit gewählte Bürgermeister Igor Kolychajew. Kolychajew ist Parteigänger des ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko und macht auf Facebook offen Stimmung gegen die "russischen Besatzer". Die regionale Partei seines Opponenten bei den letzten Kommunalwahlen, Wladimir Saldo, wurde in der Nacht zum Sonntag durch einen Erlass des ukrainischen Präsidenten Selenskij verboten. 

Vor einigen Tagen wurde in Cherson das prorussische "Komitee zur Rettung der Region Cherson für Frieden und Ordnung" gegründet, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Nationalismus in der Region Cherson zu bekämpfen. Die Komiteemitglieder nennen sich auch "Das antifaschistische Komitee". Es wurde von Kirill Stremousow gegründet. Seine Mitglieder sind unter anderem Wladimir Saldo und Igor Sementschew, in der Region bekannte Politiker.

Da der Anschlag in der Nähe des Wohnhauses von Wladimir Saldo geschah und auch das Fahrzeug früher vermutlich ihm gehörte, wird spekuliert, dass der Anschlag eigentlich dem Oppositionspolitiker und Leiter der heute verbotenen Partei gegolten haben könnte. 

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Information über die Einsetzung des Komitees leitete der ukrainische Sicherheitsdienst SBU ein Strafverfahren ein. Alle Mitglieder des Ausschusses erhielten Drohungen. Heute wurden diese Drohungen Realität: Das Opfer des Terroranschlages von Sonntagmorgen, Slobodtschikow, war ebenfalls Mitglied des antifaschistischen Komitees und Saldos Assistent und Fahrer.

Bei mehreren Gelegenheiten baten die Mitglieder des Komitees das in Cherson stationierte russische Militär um die Bereitstellung von Waffen zur Selbstverteidigung. Zunächst wurde zugesagt, der Bitte zu entsprechen, doch nach einiger Zeit wurde die Bereitstellung der Waffen, offenbar nach Rücksprache mit den Vorgesetzten, abgelehnt.

Infolgedessen waren die prorussischen Aktivisten in Cherson den Agenten des SBU und der Sabotageabteilung des ukrainischen Militärs schutzlos ausgeliefert. Viele Anhänger Russlands in den vom Zugriff der Kiewer Behörden befreiten Gebieten fürchten dasselbe Schicksal und sprechen sich deshalb nicht offen für Russland aus.

Der Experte für Militärfragen und die Lage in der Ukraine, Boris Roschtschin, kommentierte den Vorfall heute auf Telegram mit den Worten, dass Russland sich über die ausbleibende öffentliche Unterstützung in der Ukraine nicht wundern muss, wenn jeder, der sich prorussisch äußert, um sein Leben fürchten muss. Die Bewohner der Ukraine fürchten angesichts der Erfahrungen des Jahres 2014 ohnehin, dass Russland die Entnazifizierungsmission auf halbem Wege abbricht und sich aus der Ukraine wieder zurückzieht. Dann wäre jeder, der heute aktiv das Wort ergreift, den Repressionen der nationalistischen und dann noch stärker radikalisierten Kiewer Regierung schutzlos ausgeliefert. 

Für noch mehr Resignation sorgt aber, dass die russische Armee auf Kooperation mit den alten Kadern in den Verwaltungen setzt, statt Sympathisanten mit der politischen Arbeit vor Ort zu beauftragen. Gegen bekennende Nationalisten geht die russische Armee nicht oder nur unzureichend vor. 

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