Mit Russland zur Weltmacht? - Visionen beim Deutsch-Russischen Forum
von Wladislaw Sankin
Die Jahresmitgliedversammlung des Deutsch-Russischen Forums e.V. fiel in diesem Jahr - im Vergleich zu Vorjahren - durch eine sichtlich entspannte Atmosphäre auf. Die Festveranstaltungen mit Verleihung des Friedrich Joseph Haass-Preises finden traditionell im Berliner Adlon-Hotel Mitte März statt. Im letzten Jahr stand die Versammlung im Schatten der britischen Skripal-Affäre. Damals, aber auch in den Jahren zuvor, war immer wieder Kritik an Russland zu hören, sei es der Syrien-Einsatz oder die angebliche Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt.
Diesmal fielen die Akzente anders aus. Als Ehrengast trat der Ministerpräsident des großen westlichen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen Armin Laschet vor 400 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft auf. In der ersten Reihe saßen zahlreiche russische und deutsche Diplomaten. Diplomatisch war dementsprechend auch die Sprache der Redner – mit Anspielungen und feinem Witz, mit versteckten Botschaften zwischen den Zeilen.
Den Diskurs des Jahres 2019 zu verstehen, war jedoch nicht schwer: Deutschland sollte enger an Russland rücken. Es war auch früher unbestritten, dass die verstärkte Kooperation die Bereiche Kultur, Wissenschaft sowie gesellschaftlicher Austausch wie Städtepartnerschaft umfassen sollte, aber dies galt seit jeher erst recht auch für die Wirtschaft, jenseits einer gezielten, gegenwärtigen Debatte um Nord Stream 2. Dagegen sah man sich in Deutschland politisch doch stärker denn je "Anderem" verpflichtet – Bündnissen, Interessen und "Werten".
Diesmal warb der CDU-Schwergewicht Armin Laschet ganz klar für Dialog, und zwar gerade auf den Feldern, wo laut ihm immer wieder Vorwürfe gegen Russland im Raum stehen: Wahleinmischungen, Cyberaktivitäten, Desinformation oder Gefährdung der transatlantischen Sicherheit. Es müssten Experten ran, darunter Militär von beiden Seiten, um zu klären, was an solchen Vorwürfen dran ist und was erfunden sei, so Laschet.
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Er hielt es also unumwunden für möglich, dass die Vorwürfe gegen Russland auch erfunden sein könnten. Der Ministerpräsident betonte, dass in seinem Bundesland bekanntlich jahrzehntelang die Hauptstadt der Bonner Republik lag. Dort bahnte sich die westdeutsch-sowjetische Annäherung Anfang der siebziger Jahre an. Dort, am Flughafen Köln-Wahn, fand im Mai 1973 der legendäre Empfang des sowjetischen Staatschefs Leonid Breschnew durch Willi Brandt mit allen, auch militärischen Ehren statt.
Überhaupt ist die Pflege der deutsch-russischen Beziehungen schon seit Jahren die Angelegenheit der Bundesländer. Mitunter wird man den Eindruck nicht los, die Ministerpräsidenten der Länder nähmen an einem Wettbewerb teil, wer die freundlichste Geste an Russland richtet – und das gilt nicht nur für östliche Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg, sondern auch für große Länder im Westen, wie Niedersachsen, Bayern und eben Nordrhein-Westfalen.
Mit Stolz zählte der Ministerpräsident dieses bevölkerungsreichsten Bundeslandes Kooperationsprojekte zwischen den Städten, Schulen und Hochschulen auf, darunter ein "einzigartiges in der Welt" - das Kontakt-Büro des NRW-Wissenschaftsministeriums in Moskau.
Den Großteil seiner Rede sprach Laschet allerdings wie ein Bundespolitiker, der seine Sicht auf Grundsatzfragen der gegenwärtigen internationalen Politik einem hochkarätigen Publikum kundtut. Es sei in den Beziehungen zu Russland viel wichtiger, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, so Laschet. Er betonte, eine Abkehr vom Multilateralismus und die Errichtung von Handelsschranken seien gefährlich für den Weltfrieden.
Für die Gegner der Projekts Nord Stream 2 hatte Laschet nur noch Kopfschütteln übrig. Angesichts all dessen "gleichzeitig zu erklären: 'Ich bin gegen den Nord Stream 2', erfordert schon hohe intellektuelle Überwindung der Gesetze der Logik", sagte er spitz mit Blick auf Deutschlands grundsätzliche Entscheidung, aus der Atomenergie und später auch aus der Kohleenergie gänzlich auszusteigen.
Krisen im Süden gemeinsam bewältigen
Einen Appell richtete Laschet an die Medien und auch an Politiker aus der eigenen Partei, als er von der Rolle der Dschihadisten im Syrien-Krieg sprach: Diesen Konflikt müsse man differenziert betrachten. Es sei Schwarz-Weiß-Denken, nur einer Seite die Schuld an allem zu geben – und damit meinte er die Assad-Regierung. Dankenswerterweise erinnerte er an die Warnungen russischer Diplomaten zu Beginn der Syrien-Krise, dort seien internationale islamistische Kämpfer am Werk.
Dies seien neue Töne, wertschätzte der Politologe und Buchautor Alexander Rahr die Botschaft von Laschet. "Es gibt mehr und mehr deutsche Politiker, die den Ernst der globalen Krise verstehen. Während Grüne und Teile der CDU sich rückwärts in den längst zu Ende gegangenen Ost-West-Konflikt hineinbewegen, warnen weitsichtige Politiker, wie einer der führenden Politiker der CDU, Armin Laschet, davor, sich mit Russland so zu zerstreiten", sagte Rahr gegenüber RT. Sollte der Streit mit Russland noch weiter andauern, werde eine gemeinsame Kooperation zwischen Westen und Russland in der Bewältigung der hereinbrechenden Krisen vom Süden nicht mehr möglich sein, so der Russland-Experte.
Unternehmen Dürr: Mit Russland zur Weltmacht?
Zum festen Ritual aller jährlichen Mitgliedsversammlungen gehört seit Jahren die Verleihung des Dr. Friedrich Joseph Haass-Preises. In diesem Jahr ehrte das Deutsch-Russische Forum e.V. neben Graciela Bruch, der Vorstandsvorsitzenden der Globus-Stiftung, auch Stefan Dürr, Geschäftsführender Gesellschafter und CEO der Ekosem-Agrar AG sowie den bald 90-jährigen deutschen Diplomaten Andreas Meyer-Landrut mit dem Preis.
Der russisch-deutsche Agrarunternehmer Stefan Dürr ist kein Unbekannter. Sein ökologisch geführtes Unternehmen ist in Russland der größte Milchproduzent. Mit seinem Auftreten als Experte im russischen Föderationsrat und seiner Beratertätigkeit in verschiedenen Gremien machte sich der Badener sowohl in Russland als auch in Deutschland einen wohlklingenden Namen. Dem Fernsehpublikum ist Stefan Dürr als Protagonist der ARTE-Produktion "Ein Bauer für Putin" bekannt.
Zu seinem Credo gehören auch politische Statements. "Wir Unternehmer sollten es als unsere Pflicht betrachten, aktiv an der Politik mitzuwirken", sagte er in einem Interview. Bei seinem Auftritt beim Deutsch-Russischen Forum sorgte Dürr mit der folgenden Äußerung für heftigen Applaus:
Wenn Europa und Russland mehr zusammenstehen würden, dann wären sie wahrscheinlich eine dritte Weltmacht, mit der man die eigenen Werte, die eigenen Ziele, die eigene Wirtschaft, den eigenen Wohlstand vorwärtsbringen könnte.
Diese "dritte Weltmacht" sollte nach Dürr als Machtzentrum mit China und den USA in der Welt für Gleichgewicht sorgen können. Für die deutsch-russischen Beziehungen wünsche sich Dürr, inzwischen russischer Staatsbürger, die Beilegung aller Streitigkeiten, da er sich als eine Art "Scheidungskind von zwei geliebten Eltern" fühle.
Mit seinem Engagement in Russland erscheint Dürr wie den Seiten des berühmten Romans "Oblomow" des russischen Klassikers Iwan Gontscharow entstiegen zu sein. Im Roman, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts abspielt, werden zwei gegensätzliche Charaktere porträtiert: zum einen der rational agierende und erfolgreichere Agrarunternehmer, "der Deutsche" Scholz, zum anderen der verträumte Gutshofbesitzer Oblomow, kurz vor der Pleite. Mit einem Unterschied: Dürr zeigt mit seiner Persönlichkeit, dass es zwischen sprichwörtlicher deutscher Rationalität und "russischer Seele" keinen Widerspruch gibt.
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Hinweis des Deutsch-Russischen-Forums: Der Dr. Friedrich Joseph Haass-Preis für deutsch-russische Verständigung wird seit 1994 verliehen und ist benannt nach dem deutschen Arzt aus Bad Münstereifel, der sich im 19. Jahrhundert selbstlos für Häftlinge und Verbannte in Russland einsetzte. Mit der mit 5.000 Euro dotierten Auszeichnung ehrt das Deutsch-Russische Forum e.V. alljährlich Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise um die deutsch-russischen Beziehungen verdient gemacht haben.
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