Meinung

"Keine verfassungsrechtlichen Bedenken" – Bundesregierung verteidigt Gleichschaltung

Im Zentrum der Antwort auf die Anfrage der AfD zur medialen Gleichschaltung in Deutschland steht der Begriff der Desinformation. Folgt man seiner Spur, stößt man auf Überraschungen. Eine davon: Die Bundesregierung betreibt im Ausland Desinformation. Die zweite: die absolute Bedenkenlosigkeit der Regierung.
"Keine verfassungsrechtlichen Bedenken" – Bundesregierung verteidigt GleichschaltungQuelle: www.globallookpress.com © Dwi Anoraganingrum via www.imago

Von Gert Ewen Ungar

Am 12. Dezember antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD zu einem Papier mit dem etwas sperrigen Titel "Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR".

Von der Existenz des Papiers haben zuvor die NachDenkSeiten berichtet, denen es ein Whistleblower zugänglich gemacht hatte. In dem Papier geht es um die Kooperation einzelner Ressorts der Bundesregierung untereinander und eine Koordinierung mit den großen deutschen Medien, den sozialen Netzwerken und einzelnen NGOs im Kampf um Informationen zum Ukraine-Konflikt und zu Russland. Man könnte auch sagen, es geht um Gleichschaltung. Andere Sichtweisen auf den Konflikt in der Ukraine, auf Russland und die russische Politik als die der Bundesregierung und der mit ihr verbundenen Medien sollen aktiv bekämpft und unterdrückt werden.

Nun leben die Deutschen in einer der besten Demokratien der Welt, da käme die Bundesregierung nie auf die Idee, Einfluss auf Medien und die großen Internetplattformen auszuüben, es sei denn, es gibt einen guten Grund. In diesem Fall heißt er Desinformation. Genauer: russische Desinformation. Die Bundesregierung ist sich sicher, dass die russische Regierung über Nachrichtenkanäle und Internetplattformen versucht, die deutsche Gesellschaft mit gezielt gestreuten Desinformationen zu beeinflussen und zu zersetzen.

Die Bundesregierung geht also davon aus, dass im Umfeld der russischen Regierung Leute damit beschäftigt sind, sich Falschinformationen auszudenken, um sie in Deutschland und anderen westlichen Ländern zu streuen. Klingt ziemlich paranoid und ist es auch, wie sich gleich noch zeigen wird. 

Alles, das Verbot von RT und anderen russischen Medien, der Ruf nach Zensur in den sozialen Netzwerken, die Überlegungen, den Nachrichtendienst Telegram zu sperren – all dies kreist um diesen Begriff der Desinformation. Man sollte daher davon ausgehen, dass die Bundesregierung eine genaue Vorstellung davon hat, was Desinformation ist.

Genau das ist es, was die Fragesteller der AfD von der Bundesregierung unter anderem wissen wollen. Was ist mit Desinformation konkret gemeint? Die Frage 3 in der Kleinen Anfrage der Fraktion lautet daher:

"Was versteht die Bundesregierung allgemein unter dem Begriff 'Desinformation' und was im Besonderen unter dem Begriff 'Desinformation' im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR …?"

Die Antwort ist überraschend. Sie lautet: 

"Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 19/17073 wird verwiesen."

Okay, die Bundesregierung erhöht die Spannung etwas und baut ein retardierendes Moment ein. Die Antwort auf die Frage der AfD-Abgeordneten findet sich in einer Kleinen Anfrage der FDP und stammt aus dem Jahr 2020. Damals stellte die FDP ganz ähnliche Fragen. Auch damals ging es um Desinformationskampagnen. 

In der Antwort auf die Frage 1 "Wie definiert die Bundesregierung den Begriff der 'Desinformation'  bzw. 'Desinformationskampagnen'?" findet sich dann tatsächlich die Antwort. Sie stimmt weitgehend mit derjenigen überein, die auch die EU gibt. 

Die schwarz-rote Bundesregierung antwortete damals:

"Der Begriff 'Desinformation' bezeichnet nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel der vorsätzlichen Beeinflussung oder Täuschung der Öffentlichkeit verbreitet werden und gegebenenfalls die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich stören können."

Jetzt ist man natürlich ziemlich genauso schlau wie vorher, denn wie weist man nach, dass eine falsche Information vorsätzlich mit dem Ziel der Täuschung der Öffentlichkeit verbreitet wird? Ab wann ist eine Information "nachweislich falsch"? Und wie bemisst man, ob eine Information "gegebenenfalls" etwas "erheblich stören" kann. Das ist alles mehr als schwammig. Es erklärt nichts. Wenn die Bundesregierung von Desinformation spricht, weiß sie selbst nicht so genau, was sie damit meint.

Ein Beispiel: Dass in Donezk und Lugansk mit westlichen Waffen von der Ukraine zivile Infrastruktur beschossen wird und dadurch nahezu täglich Zivilisten sterben, die Ukraine also mutmaßlich Kriegsverbrechen begeht, ist nachweislich richtig. Dennoch geht die Bundesregierung hier von russischer Desinformation aus und unterdrückt die Information. Journalisten wie die Deutsch-Russin Alina Lipp, die auf das tägliche Bombardement hinweisen, werden aktiv diskriminiert und strafrechtlich verfolgt. 

Auf eine Kleine Anfrage der Linken aus dem Jahr 2017 zu einem Geheimdienstbericht über russische Desinformation und Aktivitäten im Cyberraum verweist die Bundesregierung immer wieder auf den vertraulichen Charakter der Dokumente, gibt aber zu, dass es faktisch keine belastbaren Erkenntnisse zu einer tatsächlichen russischen Einmischung gibt. 

Vermutlich hat sich daran nicht so viel geändert. Schaut man auf deutsche Politik und Medien, muss Russland auch nicht so wahnsinnig viel beisteuern, um das Vertrauen in die Regierung, staatliche Organisationen und deutsche Medien erodieren zu lassen – sofern dies überhaupt das Interesse Russlands sein sollte. Jedenfalls steht dadurch der Verdacht im Raum: Die Bundesregierung ist paranoid. Sie fühlt sich von Russland verfolgt und in der Realität entspricht dem wenig bis nichts. Der Vorgang der Mediengleichschaltung im Hinblick auf das Russland-Narrativ hat mit Sicherheit nicht zur Vertrauensbildung beigetragen. Daran hat Putin allerdings so gar keine Schuld. Das war ein erneutes Eigentor der Bundesregierung und der großen deutschen Medien. 

Aus der Kleinen Anfrage der AfD geht weiter hervor, dass die Bundesregierung Organisationen wie die "Faktenchecker" von correctiv und das "Zentrum liberale Moderne" finanziell unterstützt. Das hat schon etwas mehr als nur einen Beigeschmack. Die Bundesregierung finanziert sich die Expertise, die sie für ihr Handeln benötigt, einfach selbst, und tut dabei so, als wäre die Erkenntnis unabhängig gewonnen worden. Gleichzeitig wird von den obersten deutschen Faktencheckern die Bundesregierung als vertrauenswürdige Quelle vermarktet. Da war man in Deutschland schon mal weiter. Regierungen lügen gelegentlich und manchmal auch ganz regelmäßig, wusste man in den deutschen Redaktionen noch vor einigen Jahren. 

Auf die Frage – und jetzt wird es wirklich bizarr –, wie denn die im von den NachDenkSeiten geleakten Dokument angeführten Maßnahmen zur konzertierten Verbreitung des Russland-Narrativs umgesetzt werden, antwortet das Auswärtige Amt, man betreibe eine eigene Webseite sowie "strategische Kommunikation", also Propaganda, um so im Ausland Desinformation zu bekämpfen. Das Auswärtige Amt antwortet:

"Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat das AA (Auswärtige Amt) seine strategische Auslandskommunikation in den klassischen und sozialen Medien weiter verstärkt, insbesondere durch die deutschen Auslandsvertretungen sowie auf der Plattform deutschland.de."

Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was das Außenministerium hier zugibt. Es tut genau das, was es Russland zu tun vorwirft. Deutschland und deutsche Auslandsvertretungen kommunizieren im Ausland die deutsche Sicht. Das Baerbock-Ministerium betreibt dafür sogar eine eigene, mehrsprachige Webseite deutschland.de.

Vermutlich ist das aber was ganz anderes und lässt sich nicht mit russischer Desinformation vergleichen, weil Deutschland eine lupenreine, wertebasierte Demokratie ist, während es sich bei Russland um eine Autokratie und Kleptokratie handelt, hört man Frau Baerbock schon sagen, ohne die Frage überhaupt gestellt zu haben. Allerdings wird die deutsche Sicht in den Ländern, an die sich das Auswärtige Amt mit seinen Propaganda-Kampagnen richtet, als deutsche Desinformation wahrgenommen werden – ungeachtet dessen lässt man Deutschland trotzdem gewähren. Über die Größe, dies transparent zu kommunizieren, verfügt Deutschland nicht und greift zur Zensur. 

Vor dem Hintergrund dieser Recherche rund um den Begriff Desinformation ergibt sich nun ein etwas anderes Bild. Es geht nicht um falsche Informationen, sondern um das Ausschließen anderer Informationen aus dem deutschen Informationsraum – ganz unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Und es geht um die Durchsetzung der deutschen Sichtweise auch im Ausland. Es geht schlicht und einfach um Narrative – Erzählungen und die Deutungshoheit über die aktuellen Ereignisse, insbesondere in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. 

Das Problem am deutschen Narrativ zum Ukraine-Krieg ist jedoch, dass es ahistorisch argumentiert und viele Ereignisse nicht aufnimmt. Es folgt dem schlichten Muster von gut und böse. Die deutsche Sicht auf die Entwicklung in der Ukraine hin zum Krieg ist unterkomplex und damit einfach falsch. Wenn etwas den Charakter von Desinformation hat, dann ist es diese unterkomplexe Erzählung, welche die Bundesregierung ihren Bürgern in Bezug auf die Ukraine-Krise vorsetzt und penetrant wiederholt.

Es ist ein anti-aufklärerisches, rein ideologisches Narrativ und hat in der Auseinandersetzung mit einem aufgeklärten Narrativ, das die historischen Abläufe und unterschiedlichen Interessenlagen in den Blick nimmt, keinen Platz. Die Furcht der Bundesregierung vor "russischer Desinformation" ist daher gleichbedeutend mit der Furcht vor Aufklärung. Das ist keine gute Entwicklung. Das hat vor allem mit dem zur Schau getragenen Selbstverständnis der Bundesregierung, die sich demokratischen Werten, der Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit verpflichtet fühlt, nichts zu tun. 

Ganz besonders besorgniserregend in diesem Zusammenhang ist die Antwort der Bundesregierung auf die letzten beiden Fragen der AfD. Die Abgeordneten wollen von der Bundesregierung wissen, ob diese die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Gleichschaltungsmaßnahme hat prüfen lassen und ob sie nicht einen möglichen Konflikt ihrer Maßnahme im Hinblick auf die besonders geschützte Unabhängigkeit der Medien sieht. 

Die Bundesregierung antwortet:

"Die Bundesregierung hat keinen Anlass, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der entsprechenden Maßnahmen anzuzweifeln."

Den NachDenkSeiten wurde inzwischen die Gemeinnützigkeit aberkannt. 

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