Meinung

"Leichenteile sind keine Beweise" – Äquilibristik der deutschen Medien zum Abschuss der Il-76

Wie geht man in der Kriegsberichterstattung mit einem mutmaßlichen Verbrechen seines eigenen Verbündeten und Schützlings um? Man verschleiert, lenkt mit Nebensächlichkeiten ab, zögert hinaus. Der Umgang mit dem Abschuss der russischen Transportmaschine Il-76 in den deutschen Medien zeigt, wie das geht.
"Leichenteile sind keine Beweise" – Äquilibristik der deutschen Medien zum Abschuss der Il-76Quelle: Sputnik

Von Wladislaw Sankin 

Über Russland wurde unweit der ukrainischen Grenze das militärische Transportflugzeug Il-76 mit ukrainischen Kriegsgefangenen von einer ukrainischen Flugabwehrrakete abgeschossen. Wer diese Tatsache anzweifelt, müsste automatisch an einen russischen Selbstbeschuss glauben – andere Varianten hierzu gibt es nicht. Also dass die Russen selbst ihre eigene wertvolle und extrem teure (Kosten: 330 Millionen Dollar) Militärmaschine mit neun russischen Besatzungsmitgliedern über ihrem eigenen Territorium abgeschossen haben! Die Nachricht über den Absturz der Il-76 war für die deutschen Medien folglich extrem schwere Kost. 

Von den ersten Stunden nach dem Absturz an waren "unklar", "Verwirrung", "mysteriös", "rätselhaft" die wichtigsten Schlagwörter dazu. Alle russischen Angaben waren für die deutschen Medien "unzureichend" und "nicht unabhängig geprüft". Vor allem die Angaben über die 65 ukrainischen Kriegsgefangenen, die bei dem Absturz starben, wurden grundsätzlich in Zweifel gezogen. Bei Bild lagen die Nerven so blank, dass das Boulevardblatt selbst die Russen der Lüge bezichtigte – "die russischen Behauptungen sind erlogen." Das entstandene Informationsvakuum wurde schnell mit improvisierten Aussagen ukrainischer Anti-Krisen-Kommunikation gefüllt. 

Hierzu gab es eine große Auswahl an "vertauenswürdigen" Quellen, die deutsche Medien gerne zitierten – vom Leiter des Militärgeheimdienstes GUR und "Chef-Spion" (Focus) Kirill Budanow, über den Menschenrechtsbeauftragten Dmitri Labunez und den Gründer der grausigen Hetz-Seite "Mirotworez", Anton Geraschenko, bis hin zu einer Reihe russischer Oppositions-Medien, anonymer Telegram-Kanäle und OSINT-Forscher. Diese ukrainischen und pro-ukrainischen Propagandisten hatten für ihre westlichen Freunde schnell ihre alternative Version der Ereignissen parat: 

"Ukraine: Hochrangige Militärs sollten in abgestürztem Russen-Flieger sitzen" – titelte etwa Focus.

Auch war die Version populär, wonach die Russen in der abgeschossenen Maschine S-300-Raketen für den Beschuss der ukrainischen benachbarten Region Charkow transportiert hätten. 

Der deutsche Auslandssender Deutsche Welle fasste sogar alle diese Verschwörungstheorien am Ende des zweiten Tages zusammen – es waren so viele, dass sie in dem Artikel viel mehr Platz einnahmen als die recht kurz gehaltene "Moskauer Version". Diesen Theorien zufolge war die russische Militärmaschine aus dem Nahen Osten und nicht aus dem Gebiet Moskau unterwegs, vermutlich mit Waffen beladen. 

Doch die Bilder von der Abschussstelle zeigen, dass es im Inneren des Flugzeugs wohl keinerlei militärische Ladung gab: Auf dem verschneiten Feld bei Belgorod war außer den ausgebrannten Wrackteilen kaum etwas zu sehen. Die Journalisten durften filmen, und das Verteidigungsministerium ließ Videos veröffentlichen – hier und da sind auch geblurrte Leichenteile zu sehen. Aber nach Meinung der Ukrainer sind es verdächtig wenige! Wann waren die Bilder von menschlichen Überresten nach einem Flugzeugabsturz im Übrigen je ein Thema? Ukrainischer Spionage-Chef Budanow soll es aber wissen – angeblich seien nur fünf Personen in die Leichenhalle der Stadt Belgorod eingeliefert worden. Der NTV-Korrespondent Rainer Munz merkt dazu zynisch an:

"Angebliche Leichenteile" sind "nicht wirklich Beweise".

Und über all diesem Informationsrauschen ragt die edle Figur des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij, der in staatsmännischer Voraussicht am Mittwochabend eine internationale Untersuchung forderte. Die deutschen Medien nahmen diesen hingeworfenen Rettungsring dankbar an: "Der ukrainische Präsident Selenskij fordert eine internationale Untersuchung", titelte die Tagesschau am Donnerstag, und mit ihr alle anderen deutschen Medien. Nun ist Russland am Zug, denn wer eine internationale Untersuchung nicht zulassen will, hat etwas zu verbergen! 

Aber aus welchem Land sollen denn die Ermittler kommen und von welcher internationalen Organisation? Russland würde es nicht zulassen, dass Ermittler aus verfeindeten Staaten des Westens oder der Ukraine kommen, der Westen würde im Gegenzug die Teilnahme nichtwestlicher Ermittler nicht akzeptieren – das ist doch alles naheliegend. Dass solch eine Untersuchung in dieser Situation völlig unrealistisch ist, war von vornherein klar.

All diese Fragen stellt niemand in den deutschen Medien. Im Gegenteil, Selenskij, der im Verdacht steht, Massenmord an seinen eigenen Soldaten zu begehen, bekommt ausdrücklich ein Lob – im ZDF. "Die Forderung des ukrainischen Präsidenten ist meines Erachtens richtig", sagte Christina Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik im MoMa am Donnerstag. Sie sieht einen russischen "Propaganda-Effekt" dahinter, und einen Versuch Russlands, "mit Desinformationen den Krieg in seinem Sinne zu führen." 

Für die deutschen Medien ist das Thema damit erledigt. Am dritten Tag erscheinen diesbezüglich kaum noch neue Nachrichten. Die wenigen Medien, die darüber berichten, titeln schon klar zugunsten der Ukraine: "Ukraine wirft Russland Desinformation vor", schreibt etwa der Münchner Merkur. Folglich ist nun nichts Weiteres mehr zu diesem Thema zu erwarten, auch wenn russische Experten die Resultate der Flugschreiber-Auslesung angeben oder bessere "Beweise" als bisher für den Tod der ukrainischen Kriegsgefangenen auftauchen. Es gibt einfach keine Ungeheuerlichkeit, die den Selenskij-Kult in den deutschen Medien je erschüttern könnte.  

Mehr zum Thema - Nunmehr offiziell: Russische Il-76 mit in der Ukraine abgefeuerter Rakete abgeschossen

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